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Unter Menschen (German Writing)

Unter Menschen
(German Writing)
I'm Not The Same
Es ist fast schon komisch, dass man so einsam sein konnte, während all die Menschen um einen herum gelebt haben. Wie hässlich, wie unbedeutend, muss eine Seele gewesen sein für ein solches Leben?
[2020/12/24]
Für einen Moment kommt die Sonne hervor, bahnt sich ihren Weg durch blaugraue Wolken, die wie Schmutz tief am Himmel hängen. Doch irgendwo auf seinem Weg zwischen ihr und mir bleibt das Licht kleben. Bleibt kleben am anzüglichen Grinsen eines Betrunkenen, den dreckigen Scheiben, an fernen Gedanken, an mir selbst oder vielleicht überhaupt der ganzen Welt. Ich kann es sehen, dieses Licht, und doch nicht fühlen. So, wie alles um mich herum. Und all das, was man zu mir sagt, und nie sagen wird.

Die Wolkenlücke schließt sich, nur die Erinnerung wirft Licht und Schatten. Ich richte meinen Blick nach innen, hinein in den Bus, die Menschen darin. Darunter jene, die längst völlig apathisch sind, sich über Jahre hinweg mit Alkohol, Zigaretten und Schlimmerem so zugerichtet haben, dass sie kaum noch gehen, geschweige denn einen Gedanken zu Ende denken können. Jene, die grölen, pöbeln oder unentwegt Unverständliches vor sich hin brabbeln. Dicke, schmierige Frauen und Männer, stinkend nach fettigem Essen, Schweiß, Alkohol oder allem zusammen. Die, die alles laut kommentieren, so als würde die ganze Welt ihren geistigen Dünnschiss hören wollen, oder zumindest müssen. Die, die all die Jahre gefressen und gefressen haben, bis sie kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen konnten. Und jetzt, jetzt braucht man ja auch nicht mehr damit aufhören, oder? Weil, was würde das noch ändern.

Früh am Morgen auch die zahllosen Arbeiter, die in ihren billigen farb- und dreckverschmierten Anzügen still und ohne große Worte Tag um Tag noch im Dunkeln ihre wenigen Quadratmeter verlassen und auch erst in der Dunkelheit wieder heimkommen werden. Arbeiter, die unentwegt den Dreck anderer fortmachen, um irgendwann einmal ein gutes Leben zu leben oder gerade so die eigenen Kinder durchfüttern zu können. Die, die wenigstens darauf hoffen wollen, dann zu leben, wenn das Leben eigentlich längst gelaufen ist. Am Bahnhof dann die, die nicht arbeiten und den lieben langen Tag nichts anderes tun, als an den immergleichen Parkbänken abzuhängen. Die dabei Stuss von sich geben, auf den Staat, die Ungerechtigkeit, die ihnen widerfahren ist, oder am besten gleich auf beides. Dazwischen die Hippen, Zeitalter Smartphone und Social Media. Gleich ob Schüler, Erstsemester oder Langzeitstudent. Den Blick immer schön ins Smartphone auf Nichtigkeit gerichtet. Sprachnachrichten, die in Sekundenschnelle hin- und herwandern. Immer ein Lächeln im Gesicht aber keines für einen anderen übrig. Nothing personal. Nichtigkeit in Gesprächen, Nichtigkeit in Bildschirmen, Nichtigkeit in Gesichtern. Jene, die ausgelassen sind, so als hätten sie nie etwas anderes erlebt, gesehen oder gefühlt als das große Glück der Unwissenheit. Nonsens über die nächste Party, die letzte Klausur, den gerade angesagten Hipster-Rucksack oder die unbedeutende Lächerlichkeit, die sich der derzeitige Zwei-Wochen-Freund wieder einmal geleistet hat. Die durchs Leben gehen, so als würde das ganze Glück nur so vor ihnen liegen. Nie eine Frage des Ob, nur des Wann.

Für einen Moment sehe ich nach draußen, weiter hinten, gleich neben dem Kiosk, zieht sich ein Mann, kaum zwanzig Jahre alt, gerade seine Hose runter und spielt an seinem Schwanz herum, während er vorbeigehenden Frauen, gleich welchen Alters, gleich ob nun hübsch oder hässlich, Obszönitäten hinterherruft. Für einen Moment heben sie, die hier stehen, ihren Blick und streifen ihn mit ihrer Aufmerksamkeit. Ihr regloses Gaffen aus der Distanz, die Sucht nach einer willkommenen Abwechslung, widert mich weit mehr an, als er es tut. Wieso nur hat man mir früher nie gesagt wie ekelhaft Menschen sein können? Der Bus fährt weiter, eine junge Frau, am Bussteig zurückgeblieben, schneidet mir eine Grimasse. So seltsam und unerwartet, dass es mich zum Lächeln bringt. Doch als ich in die Spiegelung blicke, mein graues Gesicht darin, sehe ich kein Lächeln darauf. Nur ein unbekanntes Gesicht, ohne jeden Ausdruck, ganz wie das der anderen. Weiter hinten im Bus, die Stimmen zweier Weltverbesserer. Die, die das System und am besten gleich die ganze Welt revolutionieren wollen und dabei nicht nur vergessen, dass der Mensch ist und immer bleiben wird, was er nun einmal ist, sondern auch, dass all das eigentlich ganz gleich ist und letztlich doch nur dem eigenen Ego dient. Schulkinder steigen hinzu, das eine oder andere noch das ganze Leben vor sich. Um die angesagten Kinder ein Kreis der Bewunderer, und Speichellecker. Doch am Rande auch die, deren Augen jetzt schon von Jahren sprechen. Hier und da Geflüster hinter dem Rücken derer, die das Herz zwar voller Unschuld am rechten Fleck tragen doch damit für immer am falschen Ort sein werden. In der Bank nebenan, ein Junge, die Augen geschlossen, ein hübsches Mädchen an seiner Seite. Sie ist verliebt, wirft ihm Blicke zu, während sie von ihren Träumen erzählt. Im Gang eine Mutter, die ihrem wenige Monate alten Kind das Smartphone direkt vors Gesichtchen in den Kinderwagen legt. Die Animation blinkt und wechselt rasend, in mir zieht sich alles zusammen. Dahinter alte Frauen, manche noch überraschend fidel. Belanglose Gespräche über die aktuellen Supermarktangebote, das Wetter oder die letzten Krankheitsgeschichten der Nachbarn. Aber auch jene, die tief gebückt und in kleinen, unbeholfenen Schritten dahingehen, so dass man gar nicht anders kann, als sich zu fragen, ob das noch Leben ist; geschweige denn wozu all das.

Es gibt Tage, an denen stößt es mich ab, ein Teil davon zu sein und denselben Rhythmen zu unterliegen. Eine Herde von Schafen, auf dem Weg zur Schlachtbank. Der Weg, den sie Leben nennen. Manchmal warte ich Viertelstunden, bis ich es überhaupt schaffe in einen der Busse zu ihnen hinein zu steigen. Sympathie finde ich einzig und allein für die Einsamen, gleich welchen Alters. Jene, die zwar den Blick nach draußen richten und doch niemals aus sich hinauskönnen. Träumer, die wie ein Tier in der Nacht unentwegt in die Weite hineinrufen und doch nie gehört werden. Sie, die still ihre Träume begraben, bis ihnen die Worte ausgehen und schließlich mehr von ihnen unter der Erde liegt, als noch darüber atmet. Ihnen rechne ich mich zu, auch wenn es kein Uns unter Einsamen geben kann. Doch würde ich nicht mich und mein Leben hassen, ich würde nicht eine Sache an ihnen bemerken. Aber ist es deswegen falsch, was ich sehe?

Unter tristem Himmel über die alte Brücke, der träge Fluss darunter. Alles ist grau. Das Wasser, die Stadt, die Gesichter, sogar das Leben selbst. Immer, wenn ich hier darüberfahre, stelle ich mir vor, dass ich an der nächsten Haltestelle aussteige, die wenigen Meter durch die Kälte wieder zurückgehe und aus meinen Kleidern ins kalte Wasser steige. Ich würde still darin sitzen und mein ganzes Leben würde aus mir hinausfließen. Aus mir hinaus, und mit dem Fluss hinter der nächsten Biegung auf immer verschwinden. Die Liebe, jeder Gedanke und jedes Gefühl, Erinnerungen, die Sehnsucht und ganz am Ende dann die Hoffnung. Doch ich fahre stattdessen weiter, gehe schließlich die Stiegen hinauf in mein Büro. Und wenn in den letzten Tagen nicht so viele Menschen hier ein- und ausgegangen wären, wäre ich wohl verwundert gewesen, angesichts jenem einen, den ich kaum musterte. Er, der plötzlich mit nichts als einer Plastiktüte in seinen Händen durch die Türe trat. Der die Fenster begutachtete und wortlos wieder verschwunden war. Ich weiß nicht einmal, ob ich ihn grüßte. Zwanzig Minuten später stand ein junger Polizist in der Tür. Ganz verstört meinte er, dass da sei einer gesprungen sei und ob ich denn etwas gesehen oder mitbekommen hätte. Ich hätte ihn nicht abhalten wollen, hätte gar nicht gewusst, was ich hätte sagen können. Doch hätte ich ihn nach dem Warum fragen wollen. Er, der dort sprang, wo ich selbst so oft sitze und hinunter auf die Stadt und die mir auf immer unbekannten Menschen blicke. An ihn werde ich hier jetzt immer denken müssen. Wenigstens einer, der ihn nicht vergessen hat. Ob das hilft?

Irgendwie will nichts mehr so richtig zusammenhalten. Alles beginnt haltlos in- und auseinander zu fließen. Ich weiß gar nicht, woher und wohin. Was für ein Fluch sein zu müssen. Sich seiner selbst, und allem anderen, immerzu bewusst zu sein. Immer öfter kommt es mir vor, so als wäre ich zur falschen Zeit geboren, im falschen Land, der falschen Welt. Vielleicht überhaupt ein Fehler, geboren worden zu sein. Hinein ein Leben, das niemals meines schien. Hinein in Leben, in dem mir alles fehlt, das ich bin. Man kann das nicht zusammenhalten. Niemand kann das. Niemand.

2019/01/28
Unter Menschen (German Writing)
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