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Wien mit Dir (German Writing)

Wien mit Dir
[German Writing]
Gone for Good (The Distance Between Us)
Es gibt eine ältere Aufnahme, nicht wir, sondern Wien ist darauf zu sehen. Wien, von weit oben herab, als Lichtermeer in der Abenddämmerung eines kalten Februartags. Es ist überraschend still für eine so große Stadt, die scheinbar zum Greifen nah und doch fern ist, und überhaupt ist es ein wenig, als wäre alles vertauscht, das tiefe, dunkle Blau zu unseren Köpfen, das Licht vor uns zu Füßen. Doch nicht ganz ohne uns ist die Aufnahme, unsere Stimmen mischen sich dann und wann hinein. Ich erinnere mich nicht, worüber wir sprachen, aber dass wir es gedämpft taten, verstanden wir doch beide, dass es der Moment dafür war. Vermutlich erzählten wir einander, wie es zwei tun, für die insgeheim längst entschieden ist, dass sie sich verlieben werden. Später aber wünschte ich mir, dass wir nie über diesen Moment hinausgekommen wären. Dass wir uns die Unschuld bewahrt hätten; und damit die Möglichkeit, immer etwas füreinander zu sein. Nicht zu müssen, vielleicht nie zu werden, es aber, anders als heute, zu können. Ich vermute, wir hätten nie erzählen dürfen, liefen wir doch damit Gefahr, dass sich herausstellen würde, dass es das, was wir bei uns zu tragen glaubten, gar nicht gab; oder eigentlich alles ganz anders gewesen war. So, als könnte nur schweigend sein, was sein soll; auch wenn das hieße, dass auch über unsere Träume überhaupt nie gesprochen werden dürfte. Und weil uns selbst das Erzählen nicht mehr möglich ist, will ich wenigstens davon schreiben.
[2022/09/26, Stimmen über Wien]
Unterwegs auf einer Nachtfahrt bin ich, die sich ein wenig nach früheren, längst vergessen geglaubten Tagen anfühlt. Mit der Musik laut an meiner Seite fahre ich erst stundenlang über die Autobahn, und schließlich, in einem langen Bogen und dabei am Wienerwald vorüber, immer weiter in die Stadt hinunter. Doch dort, wo ich zuvor all die Male von freudiger Erwartung begleitet und in längst vertrauter Weise geradeaus gefahren war, biege ich nun einmal ab. Es ist anders, bin ich doch heute nicht länger unterwegs zu Dir. Zumindest nicht so, wie früher noch. Einem Früher, an das ich spätestens jetzt denken muss, als sei es erst gestern gewesen und wäre doch jahrelang von mir vermisst worden. Statt immer weiter hinein in die Stadt, und dabei an den zahllosen Sehenswürdigkeiten vorüber, fahre ich nun entlang der Außenbezirke, die jetzt, spät in der Nacht, ganz verlassen vor mir liegen, so weit draußen und fern von Dir niemand sonst mehr unterwegs zu sein scheint. Nachdem ich selbst die letzten Häuser hinter mir gelassen habe, führt es mich die wenigen, jetzt noch verbleibenden Kilometer auf altem Kopfsteinpflaster wieder hinauf, höher und höher. Um mich herum längst nur noch der kahle, etwas einsame Winterwald im Licht meiner Scheinwerfer. Doch ab und an tun sich zwischen den nachtschwarzen Silhouetten der Bäume Lücken auf, der Blick auf die riesige, scheinbar endlose Stadt, die längst weit unten liegt, wird frei. Eine Stadt, als Lichtermeer. Ganz vergessen hatte ich, wie hoch man hier ist und auch, wie es ist, über allem und doch unter den Sternen zu sein. Wenige Stunden nach Mitternacht komme ich an, mein von mir sorgsam ausgesuchter Platz für die Nacht, fern aller. Nur das orangene Licht vereinzelter Straßenlaternen dringt schwach von den Wegen, die jetzt keiner mehr geht, zu mir hinüber. Ich bin still, so still wie der Wald um mich herum, oder vielleicht sogar noch ein wenig mehr, doch als ich vor Stunden aufgebrochen war, hatte ich erst einmal schreien müssen. Unterwegs auf der Straße, dort, wo keiner mich hören kann. Geschrien vor Wut, weil Einsamkeit mich manchmal wütend macht, ein wenig aus Frust, weil das Leben nun einmal einfach so ist und vielleicht auch vor Schmerz, weil, das alles zusammen, weh tun kann. Manchmal aber, wenn ich in der Nacht für einen Augenblick aufwache, vielleicht, weil der Ruf einer Eule mich aufschreckte oder ein Traum gerade zu Ende gegangen war, sind all die endlosen Gedanken und wüsten Gefühle des Vorabends vergessen. Ich weiß nicht, wieso das geschieht, mit mir, doch habe ich dann vergessen, dass ich alleine gewesen bin und auch, dass Sehnsucht verdammt weh tun kann. Ich bin frei von einem Schatten, der mich viel zu oft begleitet, mir bei allem, das ich tue, über meine Schultern sieht. Vielleicht spüre ich mich selbst nur fern, und das ist der Grund. Solange, bis ich zurückkehre, aus meinem Aufwachen, und mich wieder erinnere. Doch glaube ich, dass das meine glücklichsten und zugleich traurigsten Momente sind. So nah beieinander, dass sie vielleicht sogar zusammengehören, ohne den anderen gar nicht sein könnten. Aber wenn ich an mein Aufwachen denke, und nur daran, stelle ich mir manchmal vor, dass es so sein muss, ein anderer zu sein. Jemand, von dem ich etwas haben müsste, nur ein kleines bisschen, um dem Glück ein wenig näher zu kommen. Einer, der ich vielleicht sogar selbst einmal war, irgendwann früher, als wir uns noch nicht kannten, auch wenn das unendlich lange her sein muss.
They Move On Tracks Of Never-Ending Light
Früh am Morgen, ein erstes Schimmern zwischen den Wolken hoch oben am Himmel, werde ich munter. Vielleicht war es das, oder das zaghafte Rauschen in den großen Bäumen um mich herum, das mich geweckt, und in den Tag zurückgeholt hat. Ich beeile mich, will weder diesen Moment noch den nahenden Sonnenaufgang verpassen und gehe rasch los. Alleine, etwas weiter vorne am Aussichtspunkt stehend, die Morgendämmerung über der Stadt und irgendwo darin auch Du, begrüße ich den Tag. Nach einer Weile, in der ich geschwiegen und hinuntergesehen habe, der Himmel erst aufleuchtete und die Sonne dann über den Horizont gestiegen war, gehe ich zurück und fahre nun hinunter, hinein in all das Leben. Die Stille will ich jetzt vertreiben, drehe also die Musik auf, und sie geht ein in mich, in diesem Moment. Das Sonnenlicht streift flüchtig mein Gesicht, vielleicht sogar so, dass ich es spüren kann. In Jogginghosen frühstücke ich zwischen vereinzelten Anzugträgern, die scheinbar hier ankommen um gleich wieder zu gehen, ein mitgebrachtes Müsli in der Morgensonne auf dem Parkdeck. Sie, die nun der Arbeit entgegen hasten, und ich, der, ich weiß nicht, vielleicht nach etwas suchen will, das ich verloren glaube. Kurz darauf schließe ich mich ihrer an, ziehe nun ebenfalls weiter, jetzt mit der Elektrischen durch die Stadt. Während es mich von Station zu Station trägt, empfinde ich eine Zufriedenheit, wie sie mir viel zu selten geworden ist. Sonnig ist es geblieben, und kalt. Draußen zumindest. Knapp unter Null Grad, schätze ich. Und das gefällt mir, ist es doch so, wie es mir für einen Februartag und diese Stadt genau passend erscheint. Ein wenig seltsam mag mein Unterwegssein schon sein, bin ich doch eigentlich längst fremd und heute nur als Gast hier. Die Tage, in denen ich gekannt und erwartet wurde, sind lange vorüber. Trotzdem fühle ich mich, inmitten der Anderen, einmal nicht verloren, stattdessen zuhause, fast ein wenig geborgen. Ich genieße es, frei zu sein. Kein anderer Ort, an dem ich sein müsste, kein Mensch, der mich vermissen und auf mich warten könnte. In der Straßenbahn, ein älterer Herr zwei Reihen vor mir, eine Zeitung in der Hand. Daneben, zwei junge, sich vermutlich auf immer unbekannte Menschen, Studenten vielleicht, ein jeder den Blick fest in eine Mappe vor sich gerichtet, davon viel zu eingenommen, um zu bemerken, wie nahe sie sich eigentlich gerade sind. Vielleicht sind sie sich gerade ebenso nah und fern, wie wir. Auch das eine oder andere Kind auf seinem Schulweg, die Taschen meist zu groß und schwer für die noch kleinen Körper dahinter. Manch eines fröhlich, ein anderes schon jetzt mit einem viel zu angestrengten Blick im Gesicht. Dann und wann muss ich schmunzeln, hier und da glaube ich etwas von unseren einstigen Streifzügen wiederzuerkennen. Etwas fällt mir ins Auge, lässt etwas in mir erklingen. Vielleicht eine der Melodien, die wir früher, wenn wir auf eine der Straßenbahnen gewartet und zwischen den Häuserschluchten und lauter Fremden gestanden hatten, manchmal summten. All das, die Stadt, die vielen Leute, das ganze Leben und mein Umherstreifen darin, scheint eigentlich gar nie damit aufgehört zu haben, zuhause in mir zu sein. Auch Du nicht. Und dass Du irgendwo da draußen bist, nun einmal gar nicht fern, gefällt mir. Wir beide, wieder in derselben Stadt. Zu lange ist das her, viel zu lange. Vielleicht sind wir nicht mehr zusammen, nein, ganz sicher sind wir das nicht mehr, aber das, was wir einst waren, das trage ich heute doch bei mir. Vielleicht trage ich es sogar immer bei mir, kann es nur hier, endlich wieder angekommen, besser spüren. Vor meinen Augen sehe ich uns an denselben Stationen warten, dieselben Stiegen hinauf und hinunter eilen, um dieselben Straßen- und Häuserecken biegen. Ich sehe mich sehen, was Du siehst, und Dich sehen, was ich sehe. Ich komme an, wenn Du gerade gehst, und sitze für einen Moment dort, wo Du es gestern tatst. Vielleicht werden immer wenige Meter, oder Minuten, zwischen Dir und mir liegen. Vielleicht werden wir, jeder in seinen eigenen Gedanken, seinem eigenen Leben, Rücken an Rücken auf dieselbe Bahn warten, gleichzeitig einsteigen und doch in ganz verschiedene Richtungen fahren. Aber gleich, ob nun Meter oder Minuten, es liegen ganze Jahre zwischen früher, und heute. Zwischen Dir, und mir. Jahre, die sich vielleicht noch am besten mit tausenden Gedanken, tausenden Kilometern beschreiben ließen, wenn denn danach gefragt würde. Aber vielleicht sind solcherlei Distanzen ohnehin unbedeutend, wenn wir doch mehr in meinen Gedanken als der Wirklichkeit dahinleben, es vielleicht immer schon taten. Und doch, oder vielleicht gerade deshalb, vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht an Dich denke und Dir aus meinem Leben erzähle. Ich erzähle, und warte noch immer darauf, dass Du antwortest. Und auch wenn es einfacher wäre, die stillen Tage darunter zu zählen, zähle ich doch noch immer die, in denen Du fehlst. Ich zähle und frage mich, ob ich überhaupt so weit zu zählen vermag, wie ein Leben lang ist.
It's Been a Long Time Since You Said That You Missed Me
Stunden später ist es längst Nachmittag geworden. Ich bin rastlos, vereinzelt vielleicht auch ein wenig ratlos durch die Stadt gezogen, von einem Ort zum anderen. Einen Teil davon kannte ich von Dir, den anderen hatte ich selbst herausfinden müssen. Zwischen den Spaziergängen und Bahnfahrten saß ich mal hier und da in der Sonne, vesperte Kleinigkeiten der hiesigen Bäckereien oder tat nichts weiter, als hinauszusehen, vielleicht sogar ein wenig Ausschau zu halten. Nun, der Sonnenuntergang nicht mehr allzu fern, und vielleicht auch, weil ich nicht mehr weiter wusste, bin ich im Stadtpark angelangt. Ich sitze alleine auf unserer einstigen Bank. Es ist die vorletzte, das Holz ist ein wenig verwittert, nicht anders, wie es war, als wir noch hier saßen. Ich schreibe und lese ein wenig in meinem Tagebuch, beobachte, manchmal frei, manchmal aus den Augenwinkeln heraus, die Leute um mich herum. Die Spaziergänger, mit und ohne ihre Hunde, Sportler, die hier stetig ihre Runden drehen, und auch die spielenden Kinder, deren Eltern immer in Sichtweite sind, selten ohne ein mahnendes Wort auf den Lippen, jederzeit dazu bereit einzuschreiten. Notfalls, oder auch einfach nur, weil es eben das ist, was Eltern so tun. Vor allem aber warte ich auf den Sonnenuntergang, wie wir es an den Wochenenden getan hatten, auch wenn das immer geheißen hatte, dass uns jetzt kaum noch Zeit bleibt, die Abreise immer näher rückte und nicht länger zu leugnen war. Ich erinnere mich, dass ich manchmal wenigstens noch bis zum Montagmorgen geblieben und erst dann, ganz in der Früh, wieder fortgefahren war. Dass ich Dich im ersten Dämmerlicht noch für einen Moment zwischen den Häusern stehen sah, die Arme fast ein wenig besorgt vor der Brust verschränkt, bis ich Dich aus dem Blick verlor. Wenn ich dann Stunden später in der Arbeit aufgetaucht war, gähnte und nur verschlafen, fast ein wenig verträumt, auf die Fragen meiner Kollegen antwortete, sagten sie immer, ich sei wohl wieder bei ihr gewesen. Doch das ist lange her; und ich kenne auch niemanden mehr, der von uns beiden wusste. Vielleicht ist mir deshalb manchmal, dass ich zweifle, ob es uns denn überhaupt gegeben hatte. Trotzdem schiele ich ab und an ebenso verstohlen wie etwas schüchtern in jene Richtung, aus der ich Dich erwarte. Zweimal schon habe ich gedacht, Dich gesehen zu haben. Beide Male Fehlalarm, beide Male mein Herz, das mir aufgeregt bis zum Halse schlug. Noch zu gut erinnert es sich, war ohnehin nie müde geworden wie wild zu klopfen, wenn wir uns einmal sehen sollten. Doch jetzt, viel zu früh, geht sie bereits unter, die Sonne. Sie verschwindet still und unbeeindruckt von alldem hinter den Dächern im Westen, wie sie das immer schon getan hatte. Nun muss ich mir wirklich eingestehen, dass ich darauf gehofft, eigentlich insgeheim sogar geglaubt hatte, Dich hier und heute wiederzusehen. Vergeblich. Ich bleibe noch für einen Moment sitzen, sage mir, dass Du ja vielleicht nur aufgehalten wurdest, gerade die Treppe hinuntereilst, längst und voller Sorge auf dem Weg zu mir bist und packe nur zögerlich meine Sachen zusammen, um wenigstens noch etwas Zeit herauszuholen, wollte ich Dich doch auf gar keinen Fall verpassen. Währenddessen aber fühle ich, wie die Niedergeschlagenheit erst langsam, dann immer schneller Besitz von mir ergreift. Du wirst nicht kommen, sagt etwas in mir, das keine Ruhe geben wird. Ich hole tief Luft, zwinge mich aufzustehen und gehe schwerfällig, scheinbar um Jahre gealtert, die wenigen Straßen und Wege bis zum Bushäuschen vor Deinem Haus. Und weil ich weiß, dass auch die Seele ein Gewicht innehat, das schwer wiegen kann, höre ich jetzt lieber etwas Musik, damit ich wenigstens nicht ganz alleine bin. Darin angekommen, warte ich für ein Lied, wie ich mir sage. Der erste Bus hält an, fährt wieder weiter. Niemand ausgestiegen, niemand eingestiegen. Auf der anderen Straßenseite gehen Passanten achtlos an Deiner Haustüre vorüber. Du bist nicht darunter. Vielleicht wohnst Du schon längst ganz wo anders, hast nur vergessen mir davon zu erzählen. Vielleicht, weil Du dachtest es wäre nicht wichtig, oder dachtest, es längst gesagt zu haben. Wohnst irgendwo, wo ich vielleicht sogar schon einmal achtlos, und ohne etwas davon zu ahnen, vorübergegangen war; oder doch in einer der vielen Straßen, die ich noch nie begangen hatte, auch wenn ich es mir zu meinem Ziel gemacht hatte, irgendwann einmal wenigstens überall in dieser Stadt gewesen zu sein. Und es bleibt bei einem Lied, Brennan Savage mit "Gone for Good", doch es werden einige Wiederholungen. Seltsam, dass ich so oft an Haltestellen sitze, Busse und Bahnen an mir vorüberziehen, wie das ganze Leben, denke ich mir währenddessen. Eigentlich weiß ich gar nicht, wie ich denn reagiert, und ob ich überhaupt etwas zu sagen gewusst hätte, wenn Du tatsächlich vor mir gestanden wärst. Vielleicht hätte ich gelächelt, hätte für einen Moment weise in Dein Gesicht und Deine Augen geblickt und wäre dann, genau wie Du, weitergegangen. Weil ich andernfalls sicher viel zu große Angst davor gehabt hätte, dass mir meine Gesichtszüge entgleiten und ich sie nicht mehr wiederfinden könnte. Vielleicht wäre es wirklich genug gewesen, Dich einfach nur in der Ferne zu sehen. Dass wir aneinander vorübergegangen wären, gleich, ob auf derselben oder gegenüberliegenden Straßenseite, weil es für gewöhnlich das ist, was zwei Menschen tun, die sich zwar früher einmal kannten, doch nun nicht mehr. Aber geschehen, geschehen ist nichts davon. Nichts, außer der Einsicht, dass diese Stadt, und die Nacht, nicht mehr dasselbe sind, ohne uns zusammen darin. Aber hatte ich das nicht auch schon vor Jahren gewusst, in all der Zeit nicht einmal vergessen geglaubt? Wieso bin ich dann hierhergekommen, frage ich mich, doch eine Antwort finde ich ebenso wenig wie Dich.
I'll Miss This Someday
Ich stehe schließlich auf, nehme schweigend und etwas verloren die nächste Bahn, nicht weiter hinein oder wenigstens darin umher, sondern wieder hinaus. Hinaus aus der Stadt. Still, fast heimlich war ich angekommen, in der Nacht. Ebenso unbeachtet ziehe ich auch wieder davon. Vielleicht für ein weiteres Jahr, vielleicht für immer. Mit jeder Station, jedem Kilometer, den ich zwischen Dich und mich bringe, steigt die Einsamkeit in meinem Inneren hinauf. Seltsam, denke ich mir, dass man spüren kann, wie sich alles in einem verschiebt. Ohne sagen zu können, was genau es ist; noch woher, und wohin. Ein wenig aber fühlt es sich danach an, als fließe das ganze Leben aus mir hinaus. Vielleicht, weil ich nicht länger daran glauben kann, dass wir uns begegnen werden. Ganz gleich, wie oft ich hier in den Straßen verloren dahingehen, im Markt um die Ecke einkaufen oder im Park auf unserer Bank sitzen würde, es bliebe dabei. Manchmal denke ich dann, dass das eigentlich immer schon so war, denn als wir uns noch gesehen hatten, warst Du ja doch nie wirklich dagewesen.
I Want To Lie Down And Sleep Forever
Zurück am Parkhaus angelangt, längst keiner der Anzugträger mehr hier, die mir in diesem Moment fast fehlen, hieße das doch, dass Tag und Hoffnung gleichermaßen noch vor mir lägen, werfe ich einen letzten Blick auf die Stadt. Dann steige ich ein, und fahre fort. Fort, in eine für mich neue Richtung. Dort angekommen, im verschneiten Wald, weit außerhalb der Stadt, nicht einmal sehen oder hören kann ich sie hier, verbringe ich eine weitere Nacht. Immerhin unter Sternen, wie ich mir zuflüstere. Große Buchen soll es hier geben, die ich am frühen Morgen mit etwas Glück im Nebel finden und fotografieren möchte. Ich bin alleine hier, schlafe diese Nacht ebenso wenig an Deiner Seite, wie die vorangegangenen der letzten Jahre. Und auch wenn mir jetzt ein wenig kalt ist, vielleicht gerade deshalb oder einfach nur der Minusgrade wegen, bin ich dabei nicht ohne eine Spur von Stolz. Stolz, dass ich es in all den Jahren wenigstens nicht müde geworden bin in der Welt, an diesem oder jenen Ort, nach etwas Besonderem zu suchen, das es wert ist, gesehen und gelebt zu werden. Dass ich der Einsamkeit trotzte, wieder und wieder alleine losgezogen war; oder, dass ich ihr vielleicht nicht trotzte, aber das rastlose Umherstreifen eben meine Art war, mit ihr umzugehen. Manchmal frage ich mich aber, ob ich nicht eigentlich nur davonlaufe; vielleicht sogar wir beide. Du, vor der Einsicht, dass wir doch hätten mehr sein können; und ich, vor der Einsicht, dass wir es nicht hätten. Und es fehlt mir auch in der Frühlingssonne mit Dir unter Alleen zu spazieren, an Sommerabenden mit unseren Füßen im Wasser der Alten Donau zu sitzen, im Herbstlaub liegend gemeinsam zu träumen, in der Winterkälte im stillen Dezemberwald zu schweigen. Mir fehlt es, mit Dir in nahezu zeitlosen Nächten durch die Stadt und ihre tausenden Häuserschluchten zu ziehen, für einen Moment vor nun verlassenen Sehenswürdigkeiten, großen wie kleinen, stehen zu bleiben, hinaufzublicken und dem Trubel, der immer noch ein wenig nachzuhallen scheint, hinterher zu sinnen. Es fehlt mir, mit Dir in das endlose Netz der hell leuchtenden U-Bahnen einzutauchen, nie weiter als eine Armlänge voneinander entfernt lachend durch ihre Stationen zu rennen, auf den Märkten emsig für das Wochenende einzukaufen, in einer Einkaufsmeile unerwartet Schokoküsse geschenkt zu bekommen, vollbepackt die Stiegen zu unserer kleinen Wohnung hinaufzusteigen. Hungrig und etwas erschöpft gemeinsam das Abendessen zu kochen, mal einem Deiner, und mal einem meiner Lieblingsrezepte folgend. Schließlich in die Federn zu fallen, den anderen sehnsüchtig zu erwarten. Es fehlt mir uns und den Geräuschen von Stadt und Welt zu lauschen, darunter vereinzelte Stimmen derer, die niemals zu schlafen schienen, nicht einmal dann, wenn sogar wir nach Hause gekehrt waren. Manchmal auch das klackernde Geräusch einer Pferdekutsche, oder die Sirene eines hier, oder in den unzähligen Seitenstraßen eilig vorbeiziehenden Rettungswagens. Und vielleicht vermisse ich die Regentage sogar am allermeisten; dann, wenn es nicht einmal die Stadt, sondern nur uns beide gab, wir einfach kurzerhand zuhause blieben, einander Geschichten aus der Vergangenheit erzählten, dazwischen hin und wieder engumschlungen einschliefen, nur um ebenso wieder aufzuwachen, ich Dich noch immer fest an mir spürend. Wenn ich Dich einfach nur ansah, dahinter Regentropfen, die sich im dumpfen Stadtlicht langsam auf den Fenstern sammelten. Stadtlicht, das eigentlich niemals erlosch. Außer für uns, wie ich heute fürchte. Sehen kann ich es noch immer, nur nicht mehr fühlen, müssten wir doch dafür wieder zu zweit sein. Zu zweit. Nicht alleine.

Wien mit Dir, das war einmal Zuhause.

2020/01/23
Wien mit Dir (German Writing)
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