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Fernmeldung.0007 / Berlin



von Friedrichsberg nach Friedrichshain.



Mit deinen Airmax 1 bist du 10 Jahre zu spät /
Und genauso unerwünscht wie deine Friedrichshain-WG.

Rappt zumindest Tiger104, als ich in der Ringbahn sitze und gerade frisch weiß, dass das klappt mit meiner WG im hippen Viertel von Berlin, von dem ich gar nicht wusste, dass es so hip ist. Aber das sagt wahrscheinlich auch jeder. Die Rapszene empfängt mich ja schon mal mit herzlichen Worten. Jetzt sitze ich eben in der Hauptstadt und wollte eigentlich gar nie so richtig her. Immerhin hat sich die Hamburger Hanse schleichend über die letzten zwei Sommer ja doch irgendwie mein fränkisches Herz genommen und es in seine nordischen Flossen geschlossen. Nur einen ordentlichen Humangeographie-Master hat die Flut bisher nicht nach Hamburg gespült, deswegen jetzt also Berlin. Und es gibt sicher Schlimmeres. Es gibt aber auch Besseres.

B / Momentaufnahmen

Während ich mir ein paar Pommes an der Warschauer Straße reindrücke, zieht am Nachbartisch ein Penner Koks. Ein paar verherrlichende Schreie, die wohl neu gewonnene Motivation ausdrücken sollen, steht er auf und geht. Ich schieb mir vier Pommes auf einmal in den Mund und warte auf das nächste Spektakel. Dit is Balin, daran muss ich mich wohl gewöhnen.

B / Effizientes Rollertreten

Jup, man sieht viel hier in Berlin. Ich glaube, deswegen ziehe ich hier auch (wie so oft) gern planlos durch die Straßen, irgendwas Verrücktes oder zumindest Interessantes passiert eigentlich immer im Straßentheater der Hauptstadt. Es ist definitiv noch einmal etwas rauer als die Hamburger Bühne. Deswegen habe ich mir vorgenommen, regelmäßig wieder etwas kürzer von den Schauspielen Berlins zu berichten. Als externer Kritiker quasi. Mal sehen, ob das klappt.

Was beschäftigt die Leute? Alkohol, Fußball, der Rechtsruck in Deutschland. Seit ich hierher gezogen bin, habe ich in meinem Kiez 3 vollkommend neue Themen entdeckt, die die Menschen hier umzutreiben scheint. Da wäre der angespannte Wohnungsmarkt, der reihenweise von (drohender) Verdrängung geplagte Menschen wie am Fließband zu Tage fördert und sich im öffentlichen Raum durch viele verzweifelte Wohnungsgesuche an Laternen, Ampeln, Kiosken oder Stromkästen äußert. Da wären die doch zahlreichen, recht direkten, auf Wände gesprühten Aufforderungen, die Yuppies sollen sich integrieren oder gleich ins Jenseits ziehen („Die, Yuppie-Scum!“). Und da wäre der scheinbar kollektive Hass gegen Sharing-Mobilitätskonzepte, vor allem, wenn sie eine Batterie an Bord haben.
Ist wirklich auffällig, dass alle E-Roller immer, und wirklich immer, umgetreten in der Gegend rumliegen. Bei Sharing-Bikes ist die Quote etwas geringer. In dem neu gewonnenen Frustventil entfaltet sich immerhin eine ganz beachtliche Menge Kreativität. Das bloße Umtreten ist noch eher die plumpste Form der Kritik, insgesamt scheint ein wahrer Wettstreit entbrannt zu sein, was mit den Zweirädern so alles angestellt werden kann. Manche hängen auf Straßenschildern, andere landen im Fluss. Neulich hat außerdem irgendwer ein Sharing-E-Bike verkehrt herum mitten in einer riesigen runden 3-Meter-Pfütze platziert, und es dadurch für Menschen, die gern trockene Füße haben, unerreichbar gemacht. Der Täter hatte sicher Gummistiefel oder nahm einiges für den Streich in Kauf. Doch nicht alle wütenden Rambos haben für sowas den ganzen Tag Zeit, weswegen effiziente oder aber gemütliche Treter einfach warten, bis die Gefährte am Morgen frisch getankt in Reih und Glied wieder von den Unternehmen am Bürgersteig drapiert wurden. Sie stehen dann meist in engen Viererreihen, da spart man sich ganz entspannt 3 Mal Fußheben. 1 Mal treten, 4 Mal freuen, wer Domino Day geschaut hat, kennts.
Ich warte ja immer noch gespannt auf die ersten Tretguppen, die sich dann schon im Vorfeld verabreden, um einfach Mal schön gemütlich am Sonntag im Kollektiv die Teile umzubugsieren und sich einfach einen entspannten Tag machen. Das wird noch ganz groß, ich seh es kommen.

B / DYNAMO! DYNAMO! (Dinge, die ich liebe, es bisher aber nicht wusste)

Ich versuche gerade eher, mit meinem Zweirad sinnvolle Dinge zu betreiben und mich zu einem Allwetter-Radler zu entwickeln. Manchmal klappts, manchmal nicht. Immer zuverlässig klappt zumindest meine neue Sünde im Sparplan, namentlich Isabella von Schmilka, optisch ein hellblaues Mifa-DDR-Klappi vom Dresdner Flohmarkt für 60 Tacken. Eigentlich gekauft, weil man in Zügen und Fernbussen Klappräder fast immer für umme mitnehmen darf, hat sich Isabella schnell zur rollenden Nummer eins in meinem Fahrradbestand gemausert, einfach weil Klappiheizen sehr viel Freude bereitet. Schmuckstück der rüstigen Dame ist allerdings ihr dynamobetriebenes Vorderlicht. Leuchtet einem beständig surrend den Weg durch die Dunkelheit und hat dabei nie leere Batterien oder niedrige Akkustände, wie das bei mir sonst immer war. Ist festgeschraubt und kann dadurch nie vergessen werden, was bei mir auch bekanntlich des Öftern vorkommen mag. Vor allem aber nimmt es surrend die Grundangst, von der Polizei angehalten zu werden und das Unnötigste aller Busgelder zu bezahlen. Wenn der Tag mal länger wird und man durch die Nacht strampeln muss, verschmelzen Dynamo und Reifen mit nur einem Klick in einer lichtererzeugenden Umarmung. Vorausgesetzt, es gibt keinen Wackler. 

B / Des isch a Fuchs!

Nachdem der Mensch beständig die Lebensräume der Tiere einschränkt, gibt es viele Verlierer in der Fauna. Es gibt aber auch zahlreiche Beispiele, wie sich einzelne Arten an die neuen Verhältnisse anpassen und sich ihren Platz im menschengeprägten Umfeld suchen. Man google etwa mal "Waschbärenkrieg Kanada" und erhält einige äußerst amüsante Anekdoten, primär aus Toronto.
Prominentestes Beispiel der europäischen Stadt ist wohl der Fuchs. Ich raste (leider eher selten) vollkommend aus, wenn ich ihn in der Natur sehe. In der Stadt hat sich der Enthusiasmus vor allem seit London stark gelegt. Als wir dort letztes Frühjahr den ersten erblickten, starrten wir ihn noch wie einen Außerirdischen an und überlegten, ob wir die scheinbar unbeeindruckten Passanten auf das Tier hinweisen sollten, ihre Reaktion ließ uns in keinem anderen Glauben, als dass sie das seltene Tier nicht gesehen haben konnten. Etwa 8 Füchse später wiesen wir uns nur noch beiläufig auf die Tiere hin. Von unserem Gastgeber erfuhren wir, dass sich die Leute in der englischen Metropole bereits gegen das häufige Auftreten des Reinecke wehren, ihn verjagen und mit Dingen bewerfen.
Heute Morgen hab ich mich dann aber wieder gefreut, als ich den ersten Berliner Fuchs mit dem Fahrrad überholt habe. Der Kollege war am Spreeufer im Treptower Park prominieren, mitten auf der vielgenutzten Fahrrad- und Joggingstrecke. Bemerkt hat er mich erst, als ich in einem Meter Abstand an ihm vorbeigekurvt bin, ist dann aber doch ordentlich erschrocken. Vielleicht ist der Gute noch in der Eingewöhnungsphase in sein Neues Revier und noch etwas überfordert mit den ganzen Menschen hier. Geht mir genauso, Berlin ist groß. Vielleicht trifft man sich ja Mal auf ein Schultheiß im Bäreneck, wir Zugezogenen haben schließlich was gemeinsam.


B / Die bittere Pille

Neues Kapitel, neue Eindrücke, neue Abenteuer, neue coole Leute, bla bla bla. Ist schon klar. Aber Erfahrung, Abenteuer hin oder her: zum vierten Mal sitze ich nun auch in einer Stadt und fang von vorne an. Soziales Umfeld gleich mal wieder auf fast null, ich hab eigentlich keinen Bock mehr drauf. Gerade, als mich die Bäckersfrau im Hamburger Kiez schon kannte und dementsprechend begrüßt hat. Gerade, als sich in meinem Hamburger Umfeld begannen, vielleicht tiefergehende Freundschaften zu entwickeln. Wat solls, viel Rumkommen hat eben immer auch seine Schattenseiten, nur erzählen das einem die Social-Media-Vlogger nie. Bevor ich in Selbstmitleid versinke, such ich mir erstmal einen neuen Bäcker.

Es könnte nichts weniger Wesentliches geben, als ein geregeltes Leben.
Rappt Mauli. Doch, könnte es.

Macht es jut, Grüße aus der Hauptstadt.


Status: eingeschlichen / Blick aus dem 20. Stock eines Studentenwohnheims. Der Becher war nicht unserer.














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