É     I        E
( i          r          l          a          n          d )











▽​​​​​​​                Schwangere Schiffe ( 1 )

Das bezaubernde an Schiffen ist die Tatsache, dass sie von Bug bis Heck mit Sehnsucht geschwängert sind. Wer an Bord geht, lässt am Ufer stets etwas zurück. Eindrücke und Erinnerungen, ob gut oder schlecht, machen dann Platz für die Hoffnung auf das Neue, das vor einem liegt, und die Spannung, unbekannte Orte bald das erste Mal zu entdecken. Man kann sich in die Abfahrt aus einem Hafen ebenso hineinsteigern wie in die schon zigmal gesehene Tragödie, die einem am dramaturgischen Höhepunkt jedes Mal wieder Wasserrinnsal unter die Augen zaubert. Ebenso treibt das Boot, das Schiff, die Fähre durch ihre Langsamkeit perfekt die Melancholie bedienend aus dem Hafen heraus und bietet erst durch die lähmend langsame Geschwindigkeit Raum, sich dem von Dannen Schwinden der zurückliegenden Orte hinzugeben und die Erinnerungen und Erlebnisse vor dem geistigen Auge noch einmal Revue passieren zu lassen. Wer weiß, wann man wiederkommt. Wir sehen den Leuchtturm, still und dem Sturm der Ewigkeit trotzend über den Klippen wachend, können sogar den Stein an der Küste finden, hinter welchem wir am Vorabend noch Nudeln mit Pesto gekocht hatten. Im Hintergrund streckt sich der Snowdonia National Park wolkenverhangen in die Höhe, dessen zahllose Hänge und Seen wir noch Tage zuvor bewandert hatten. Und so sehe ich all die Gastfreundschaft, all die Freude, all die natürliche, rohe und raue Schönheit von Wales in einem Duett mit meinen frischen Erinnerungen nochmals in Höchstform vor mir auflaufen und erblicke mit jeder Minute mehr und mehr Meer zwischen mir und dem Stück Land dahinten. Ich liebe Schiffe für diese Momente, die mir Autos, Flugzeuge, Busse und sogar meine geliebten Züge durch ihre Schnelligkeit verwehren. Und ich liebe sie viel mehr für die ruhige Leere, in die sie einen tragen, bevor man sich über die Stege auf die Kaimauer einer neuen Landmasse begibt. Vor uns liegt Irland, das Ziel der Reise, das uns mit grünen Armen empfangen wird, um all seine Facetten zu erkunden. Und das wollen wir tun, wer weiß, wann man wiederkommt.

Okay, das mit den grünen Armen war etwas dick aufgetragen. Ist ja nicht so, als käme man mitten in den irischen Hügellanden an, zunächst einmal empfängt uns der Hafen Dublins, Kategorie Standardhafen, schon oft gesehen. Obwohl ich sonst fast allen Städten, ob grau, bunt, alt, neu, geplant, gewachsen etwas abgewinnen kann, drängte sich mir Dublin nicht gerade auf. Vielleicht liegt es an der Schönheit der kleinen walisischen Dörfer, mit denen sich die irische Hauptstadt messen musste, vielleicht an der Katerstimmung, die nach dem zurückliegenden St. Patrick‘s Day noch in den Straßenzügen hing. Die Stadt kam mir irgendwie zu normal vor, sodass ich sie eher als Einstiegslevel empfand, das man eben so durchspielt, um sich dann zum wahren, rauen, grünen, wilden Irland durchzuarbeiten. Vielleicht hatte ich aber einfach nur eine raue Arbeiterstadt erwartet und war zu sanft gebettet worden. Von der rauen Seite hat sich die Seite eigentlich nur einmal gezeigt, als uns Kinder (wohl wegen der bunten Pullis) als fockin Stoner beschrien und einen Stock nach uns warfen. Sie waren vielleicht 8 Jahre alt. Es gibt also Hoffnung für mein erträumtes Dublin.

Zwei Nächte später sind wir dann sowas von drin und fahren mit dem Auto durch das sowas von typische Irland. Wer auf Reisen Zeit hat und trotzdem die Autobahnen fährt, ist selber schuld, wenn einiges auf der Strecke bleibt. Das Google-Maps Häckchen „Mautstraßen vermieden“ ist das Billo-Pendant zur Schönen-Landschaft-Route der hiesigen Navi-Marken. Und damit in derart vielen Ecken eine Garantie für Schönes, dass es eigentlich per Gesetzesentwurf beschlossen werden sollte, besagtes Quadrat permanent angeklickt zu lassen. Einfach, um den Autobahnrasern mal die Scheuklappen von den Schläfen zu klauen und sie hineinzuwerfen in die etwas langsamere aber dafür umso seeligere Natur abseits der Vierspuren.
Wir tendeln zwischen hohe Hecken, die jegliche Kurven uneinsehbar machen, durch beviehte Felder und lose Besiedlungen. Die ganze Landschaft hat sich dem Anschein nach verabredet und ist einmal in geschlossener Formation im satten Grün baden gegangen. Das Irland vor uns entspricht bereits dem Irland unserer Vorstellung und dem Irland der Postkarten. Und dabei sind wir gerade erst los.




   

 





▽​​​​​​​                Die Pub-Hypothese ( 2 )

Gerade erst los aber gefühlt schon lange da. Man gewöhnt sich schnell an den gemütlichen Gang, den das Leben auf der grünen Insel geht. Gefangen zwischen rauem Klima, himmlisch schöner Landschaft und urigen Pubs haben es die Iren irgendwie geschafft, eine ehrlich gemeinte Nettigkeit zu entwickeln, die sie zu den freundlichsten Menschen Europas macht. Sagt zumindest Elena, die anders als wir, dort nicht nur zu Besuch ist, sondern im kleinen Castlebar an der irischen Westküste für 2 Monate lebt und arbeitet. Dort lernen wir die irische Gangart abseits von Dublin das erste Mal in einem der zahlreichen Pubs kennen. Es locker nehmen, höflich und zuvorkommend bleiben und den Humor trotz des Wetters nicht verlieren. Gut vorstellbar, dass überhaupt erst das Klima der Motor für die Gemütlichkeit ist, die die irischen Pubs weit über die Landesgrenzen hinaus Bekanntheit verschafft haben. Wenn es draußen eklig ist, machen es sich die Iren eben drinnen umso gemütlicher. Wenn das Wetter grau und trist in der Landschaft hängt, schraubt man als Gegenpol eben die Laune hoch und rückt enger zusammen. Und falls das mal nicht wirkt, ist auf den laufenden Guinness-Hahn um die Ecke ja auch noch Verlass. Ich bin zwar nicht der größte Fan des schwarzen Gebräus – auch, weil der Erfrischungsgrad wegen des geringen Kohlensäuregehalts auf der Strecke bleibt – trinke den Stolz der Nation aber trotzdem einfach für das Gefühl mit und lerne, dass man ein Guinness eigentlich in 3 bis 4 Zügen leert.

Bei aller Gemütlichkeit der Pubs und bei aller Höflichkeit der Iren bleiben das Faszinosum der Insel die Gegenden, die abseits der tiefergehenden Einflüsse der Menschen liegen und rohe, vom rauen Klima geformte Landschaften bieten. Dort versuchen wir, möglichst viel Zeit zu verbringen. Wir steigen auf den Croagh Patrick, den heiligen Berg der Insel, von dem der heilige Patrick, der uns Ausländern sonst vor allem im Kontext des Alkoholkonsums begegnet, damals angeblich alle Schlangen Irlands über die Ufer der Küste und hinein ins Meer trieb und das Eiland nachhaltig von dem lang gezogenen Getier befreite. Wir folgen der Panoramastrecke des Wild Atlantic Way nach Connemara, dem Land der berühmten Wildpferde, die einem so selten vor die Nase treten. Wir stiefeln die Hänge des Diamond Hill empor und blicken auf ein dutzend Bergkuppen der Twelve Bens, die in ihren Tälern von oben betrachtet eine Hülle an Schönheit und Einsamkeit vermuten lassen, dass man am liebsten direkt die Hänge des Diamond Hill hinabstürzen möchte und jeden Winkel der zwölf Geschöpfe erkunden möchte. Wäre ich an nichts gebunden, hätte alles, was ich zum Leben bräuchte und keinerlei Angst: ich wüsste dennoch nicht, wohin ich zuerst wandern sollte. Denn wer sich umdreht, vergisst die Twelve Bens im Anblick der sich mit zahllosen Buchten, Inseln, Klippen schmückenden Atlantikküste ebenso schnell wieder.

In warmen Gefilden wandern ist schön. Aber das beunruhigend-wohlige, an den Nerven kitzelnde Gefühl, ein kleiner Mensch im Strudel der Elemente zu sein, über die man nicht einmal einen Hauch eines Einflusses zu verrichten vermag, bekomme ich erst dort, wo es rau ist. Wo der Wind einen unter die Jacke fährt, der Regen unter die Kapuze peitscht und sich selbst die Bauten der Menschen schützend hinter Kuppen aneinander drücken zu scheinen. Und man selbst steht irgendwo oben, blickt in alle Richtungen und begreift, dass hier noch die Natur die Oberhand über die seltsamen Zweibeiner besitzt, die sie anderorts derart kanalisiert, begradigt und gebändigt haben. Dann möchte ich schreien vor Freude, wie sie es in den ganzen Filmen immer zu den unnötigsten Zeitpunkten tun. Ob ich wirklich geschrien hab, weiß ich leider nicht mehr.

Das Schöne an all der rauen Natur ist am Ende des Tages dann aber auch die Gewissheit, sich hinter die dichtstehenden Gemäuer der umliegenden Dörfer in die wohlige Gemütlichkeit zurückziehen zu können und sich zusammen mit dem Rest des Dorfes mit einem Pint in der Hand gegen die große raue Macht dort draußen mit Musik und guter Laune gemeinsam zur Wehr setzen kann. Dass dieses Phänomen in Irland zu sichten ist, macht mich neugierig, wie sich die Menschen in den unwirtlichsten aller Gegenden mental gegen die Naturgewalten wappnen.





 

   

   

 

  

   

   

   

    

  

  

   

   

  





▽​​​​​​​                An den Vertikalen. ( 3 )

In Richtung Süden fahren wir weiter in Richtung der Cliffs of Moher, die mich unerwarteterweise kurz daran erinnern, dass es auch im März in Irland Touristen gibt. Großparkplatz, Autos, Touristeninfo. Dabei sehen wir die Klippen noch nicht einmal. Stattdessen fahren wir bis ans südliche Ende der Felsgiganten und folgen einer kleinen Straße abseits von Informationsständen und Reisebussen zur Abbruchkante, den Tipp hatten wir irgendwo auf der Reise aufgeschnappt. Wir sind zwar trotzdem bei Weitem nicht die einzigen hier vorne, der Auflauf ähnelt aber in etwa dem einer schönen Landschaft an einem Sonntag bei gutem Wetter, dadurch alles zwar halb so wild, aber halb so wild. Den Jackpot knacken wir allerdings erst, als wir im Angesicht des nahenden Sonnenuntergangs beschließen, zum Auto zurück zu sprinten, um uns mit Kaffee und Kuchen im Gepäck pünktlich zum Aufprall des Feuerballs auf die Linie des Horizonts an die Felskante zu setzen. Die anderen Besucher haben sich wieder auf die Socken gemacht. Zurück bleiben die untergehende Sonne und viele vertikale Meter, an deren oberen Ende wir. Unter uns ringen die blubbernden Wellen den Moher-Giganten Jahrtausend für Jahrtausend mehr Masse ab. Die Möwen nutzen die Thermik der aufsteigenden Luft für waghalsige Flugmanöver, die zu mehr als Spaß kaum dienen können. Ich denke, ich habe noch nie vor spektakulärerer Kulisse mit meiner Bialetti Kaffee gekocht. Ohnehin ist die glitzernde Achteckige zu einer unabdingbaren Kumpanin geworden, die, wenn draußen auf dem Campingkocher in Aktion, jedem Moment der Ruhe nochmal ein bisschen mehr Atmosphäre aus den Fasern kitzelt. Da wäre der Kaffeeduft, der sich wie ein Wunderdunst über die Kulisse legt und sich einfach nirgends so gut entfaltet wie im Freien. Schon allein daran ist nichts zu rütteln. Da wäre das für mich unfassbar entspannende, fast schon rituelle Vorbereiten der Kanne inklusive exaktem Befüllen des Unterteils, Glattstreichen des Kaffeepulvers und Aufbau des Kochers, vollendet mit dem erleuchtendem Zappen des sich entzündenden Gases. Und da wäre das Endergebnis, und das ist nun einmal Kaffee. Wärmt die Hände, wärmt den Magen, schmeckt und hinterlässt angenehmen Atem.
Da sitzen wir also an den berühmten Klippen, trinken schwarzes Bohnengebräu und essen Kuchen. Und sagen ab und zu Mal was. Und sagen meistens aber nichts. Wir gucken lieber. Auf die Wellen. Auf die Klippen. Auf die verschwindende Sonne. Auf das Meer. Und verkriechen uns erst als es dunkel ist wieder hinter die gemütlichen Steinmauern eines Hauses der umliegenden Dörfer.





  

   



 

  

  

  
  





▽​​​​​​​                Delfine. ( 4 )

Es soll früh losgehen am nächsten Morgen, um sich in die Obhut der Autofähre nebenan zu begeben, die uns über den berühmten Shannon tragen soll. Es ist aber unser freundlicher Gastgeber, der uns auf andere Gedanken bringt und uns mit aller irischen Freundlichkeit ans Herz wirft, wir könnten auf keinen Fall den Loop Head im Westen seines Hauses links liegen lassen. Mit irischem Opa-Humor erlaubt er uns, ihn schlecht auf Airbnb bewerten zu dürfen, wenn sich der Umweg nicht lohne. Außerdem bekäme man dort mit gar nicht mal so unfassbar viel Glück Delfine zu sehen. Die Argumentlage ist erdrückend, also lenken wir unsere Karre auf abenteuerlich engen Einspurstraßen geradewegs auf den Leuchtturm zu, der an der Spitze der Landzunge Schmiere steht. Der Platz ist derart prädestiniert für einen Leuchtturm, ich wäre erzürnt, hätte dort keiner gestanden. Wir packen uns wegen der Morgenfrische ordentlich ein und machen uns auf den Weg, uns einmal um das Kopfende zu loopen. Schweifende Blicke über die Klippen in Richtung morgendlichem Horizont, prüfende Blicke auf den Verlauf der grasbewachsenden Abbruchkante und auf die Wellentäler und Wellenberge, in der Hoffnung, dort grauglatte Delfinrücken auftauchen zu sehen. Die Szenerie ist wild und atemberaubend schön, haut uns aber auch nicht um. Man müsste sagen: Nicht mehr. Das Ganze hätte uns an anderen Orten und zu anderen Zeiten definitiv umgehauen. Aber das schöne wie traurige an beraubend schöner Natur ist, dass man sich daran gewöhnt. Wir genießen den Wind, die salzige Luft, die rauen Klippen, das Geschrei der brütenden Möwen und fühlen uns fast wie am Ende der Welt, würden sich links von uns nicht die Ausläufer der Dingle-Halbinsel in der Ferne in die atlantischen Fluten strecken. Die liegen noch paar Kilometer östlicher als Loop Head und sind dadurch also das wahre östliche Ende der Welt, an dem wir vielleicht sogar noch heute Abend stehen wollen. Das Gefühl, ein Ziel am Horizont sehen zu können, mit der Gewissheit, dort irgendwann anzukommen, aber gleichzeitig keinen Plan davon zu haben, wann und wie, setzt in mir mit jedem Mal wieder das größte Gefühl der Freiheit frei. Umso schmerzvoller gestalten sich derartige Anblicke aber auch mit der Gewissheit, dort so schnell nicht oder gar nie anzukommen, weil die Route in eine andere Richtung führt. Leider habe ich die unerfüllte Version des Gefühls deutlich öfter, was sich logisch damit begründen lässt, dass eine schöne Ecke eben an allen Ecken schön aussieht und mit Interessantem lockt, Zeit und Geld aber meist nur eine Richtung erlauben. Auf dem Gipfel des Diamond Hill mit dem Blick in die mystisch im Dunst liegenden Täler der Twelve Bens wirkte mein Erkundungsdrang im Duell mit den bösen Spaßbremsen Zeit und Geld derart stark, dass ich für einen Moment in einem Gefühlsmischmasch aus Trauer, Neid, Zorn und Undankbarkeit wieder hinabstieg. Irgendwie hatte ich also nicht nur einen irischen Berg sondern auch den Gipfel der Westweltprobleme bestiegen. Dass ich etwa Undankbarkeit in eine derart pure Landschaft trage, die ich Privilegierter gerade sorgenfrei durchstreifen darf, ist schon ein übles Verbrechen. War dann aber auch schnell wieder vorbei. Und ist ohnehin eine Falle. Die Twelve Bens hören ja nicht auf und dann ist dort nichts mehr. Dieses Gefühl ist ein bodenloses Fass.

Wie wäre das bloß, wäre ich ein Delfin? Zahlreiche beflosste Säuger ziehen irgendwann tatsächlich in einiger Entfernung zu den Loop Head-Klippen durch die Wellen. Die schlechte Bewertung für unseren Host geht damit baden. Die Unter-und-manchmal-über-Wasserkameraden und –kameradinnen holen uns für ein paar wundersame Minuten so richtig raus in die wilde Natur. Ich wusste ehrlich nicht, dass es Delfine um Irland gibt, ich dachte es sei zu kalt. Jetzt weiß ich es besser und bin neidisch auf diese freien Flosser dort draußen und würde auch gern durch den Ozean strollen. Kein schlechtes neidisch, eher ein gönnendes neidisch. Auf dass sie niemals ein Trawler fängt!




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▽​​​​​​​                Die Wirkung der Natur ( 5 )

Irgendwann ist die Luft dick. Kleines Auto, drei Leute, drei Meinungen. Es geht um die Frage WOHIN. Und als die Frage wohin geklärt ist (es geht nach Dingle), geht es um die Frage WIE. Den Pass durch die Berge oder die schnellere Straße an der Küste? Wir sitzen schon seit Stunden im Auto und keiner hat eigentlich mehr Bock auf noch mehr Vierrädrigkeit, vor allem nicht Cornelius als Fahrer. Irgendwie ist die Sonne auch nicht mehr so richtig weit oben und eine Wanderung an der Küste entlang, wie wir es eigentlich vorhatten, ist weiter entfernt als wir vom europäischen Festland. Cornelius ist müde vom Fahren. Ich will endlich irgendwo ankommen, es aber auch den anderen Recht machen. Selbiges möchte Elena auch, ist selber aber obendrein selbst unzufrieden. Wir fahren am Passparkplatz (es wurde der Pass) rechts ran um zu beraten. Und treffen die beste Entscheidung des Tages: Wanderschuhe schnüren und den nächstgelegenen Gipfel ins offene Visier nehmen. Welch ein Effekt! Nicht, dass die entspannende Wirkung der Natur ein Geheimnis wäre, immerhin macht ja gerade der sich nachweislich positiv auf das Immunsystem auswirkende Effekt des Waldbadens im Klatsch der Gesellschaft die Runde. Aber so richtig direkt aus der stickigen Blechkonserve der dicken Luft mit nur einer Türöffnung raus ins Bällebad der Entspannung hatte zumindest ich selten. Die ersten 10 Minuten schweigen wir. Es braucht eben diese 10 Minuten und unsere gespannten Nerven werden zu schlaffen Wäscheleinen, von denen gerade ein Dutzend nasse Jeansjacken abgenommen wurden. Ab Minute 11 schleichen sich die ersten Lacher auf die Gesichter und die vergangenen Diskussionen im jetzt in der Wahrnehmung ach so weit entfernten Auto erscheinen uns völlig unverständlich. Viel wichtiger liegen sanft bewachsene Berghänge vor uns, die wir emporsteigen. Die Natur relativiert mal wieder einiges. Wäre ich Gesundheitsminister, ich würde die Verordnung eines ausgiebigen Spaziergangs in der wilden Natur vor sämtlichen Arztbesuchen verbindlich in die Behandlung integrieren, von diversen Notfällen natürlich abgesehen. Schaden würde es sicher nie.
Dann stehen wir irgendwann auf einem der Hügel oben drauf. Neben dem routinierten Auftritt der Idylle-Garanten Meer, grüne Berge und Schafen wechselt sich als besonderer Gast die Skellig Michael am entfernten Horizont ins Panorama ein. Wer das Eiland nicht kennt: Die kleine und schroffe Felsinsel ragt vor der irischen Westküste aus dem Ozean und trägt uralte Klosterstrukturen auf seinem Buckel. Es ist aber vielmehr die Tatsache, dass sich dort Luke Skywalker vor dem Universum zurückgezogen hat, die in mir das unwirkliche Gefühl auslöst, wahrhaft Außerirdisches in weiter Ferne vor mir zu haben und durch den dort sesshaften Luke eine Verbindung zur Unendlichkeit der Sterne in greifbarer Nähe zu wissen. Albern ist das sicherlich irgendwie, aber manchmal gibt es auch eine tiefe Befriedigung und ein Gefühl der Geborgenheit, fiktive Welten in der Fantasie mit der vor einem liegenden Realität verschmelzen zu lassen. Haben wir als Kinder schließlich auch nie anders gemacht.
Da es langsam dämmert, steigen wir den Wellnesspfad wieder zu unserer Karre hinunter und nehmen erstmal das nicht ganz so außergalaktische Dingle am Fuße des Passes als Wegziel. Eine Pizza, ein Pint zwischen Schrauben und Fahrradschläuchen im Pub, der gleichzeitig als lokaler Bikeshop des Vertrauens fungiert und wir sind auf dem Heimweg nach Killorglin, wo unser lauschiges Haus für die Nacht wartet.





  

  

  

  

  

  

  

  







▽​​​​​​​                Irland, du kannst es ja doch. (  6 )

Bestes Wetter empfängt uns am Morgen. Und ich meine „bestes Wetter“ nach normal-europäischem Maßstab, also nicht die irische Variante von „bestes Wetter“ mit einem „wolkig und es regnet nicht“. Der Himmel ist blau und die Sonne prallt. Wir sitzen mittlerweile fest im Wanderersattel und wollen am letzten Tag des Roadtrips nochmal hoch hinaus. Wie hoch steht noch im Raum. Cornelius lukt wie immer auf fast vertikale und möglichst hohe Gipfel, die es am besten nur mit Kletterausrüstung und idealerweise in einer aufwändigen Erstbesteigung zu bewältigen gilt. Elena hat etwas Entspannteres mit ein paar Höhenmetern weniger im Sinn. Ich sitze zwischen den Stühlen und es ist mir egal. Als gängigster Kompromiss erscheint uns die Wanderung um den Muckross Lake im Killarney National Park, die entspannt und ohne Kletterpassage um den See kurvt und eher Elena in die Karten spielt. Es ist der letzte Tag des Roadtrips und gleichsam der schönste, wenn gar kein im Reiseführer hoch gepriesener Leckerbissen vom Tagesplan grüßt. Da ist mal wieder eine, eine der sich ständig neu bestätigenden Erkenntnisse. Weniger ist nicht selten mehr, und auf wundersame Weise wird der vermeintlich ereignisärmste Tag zum schönsten des Trips. Es muss nicht immer die spektakulärste Wanderung vorbei an den schroffsten Felsformationen hin zum atemberaubendsten Ausblick sein. Ein stinknormaler Weg, ein schöner Wald, gutes Wetter und vielleicht ein bisschen Wasser. Interessante Gespräche, etwas Rumgealber und viel Zeit. Das Ganze mit den richtigen Leuten und man kann sogar Wald, Wasser, den Weg und Sonne streichen und bei Regen durchs Industriegebiet laufen. Wäre eigentlich deutlich billiger gewesen. Aber zum Glück haben wir die Wahl und sind jetzt sowieso schon hier, dann kann man den Tag auch gleich ohne viel Schnörkel zum Schönsten machen.





  

  

  

  

  

  




▽​​​​​​​                Ab nach Hause. ( 7 )

So gemächlich wir in das Wohlfühlbad der irischen Natur geglitten sind, so abrupt wird dann leider das Wasser abgelassen, als wir abends ins Auto steigen und gen Norden ins beschauliche Castlebar kurven, wo Elena noch gut einen Monat leben wird. Beneidenswert. Wir hätten gern noch einen Monat länger erkundet. Aber wenigstens ist es auch für uns keine Moher-Klippe, über die wir zurück nach Deutschland stürzen. Gut 1 Woche bleibt uns, um uns den Weg zurückzutanken, zurück übers Meer, zurück in die Arme Großbritanniens und hinein ins angeblich so wilde Liverpool. Soviel ist geplant. Alles danach wird sich zeigen, und das ist auch gut so. Denn da ist sie wieder, die große Freiheit. Start und Ziel vorgegeben, dazwischen darf in alle Richtungen geschlenkert werden. Und so steigen wir wieder auf die Fähre. Lassen das wilde, grüne, gemütliche, fröhliche, kalte, nasse, konservative, höfliche, durstige, kuriose, wohlklingende, duftende, wunderschöne Irland hinter uns. Vor unserem geistigen Auge passieren die Erinnerungen und Erlebnisse noch einmal Revue, während die nostalgische Unternote langsam aber sicher mit jedem Seemeter durch die Freude auf das vor uns liegende abgelöst wird. Auf! Auf nach Liverpool und von dort irgendwie nach Hause.




Éire (Irland)
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Éire (Irland)

Runde Rundreisesachen aus Irlandia Fantastica.

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