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Ohrenbetäubende Stille

Ohrenbetäubende Stille
 
Sie strömen rastlos, angstgetrieben,
erreichen aufgewühlt ihr Ziel.
Nur die Furcht ist ihnen noch geblieben,
von einem Dasein, 
das in Schutt und Asche fiel.

Sorgenvoll in dunklen,
schlecht belüfteten U-Bahnschächten, zusammengepfercht,
Halt suchend.

Am Leben festhalten ist jetzt alles was zählt. Schutzbedürftig. Eine rettende Zuflucht gefunden.

Doch die Angst vor heimtückischen Überfällen aus dem Hinterhalt bleibt. Die Panik steigt und schnürt die Kehlen zu.
Zungen schweigen vor lauter Fassungslosigkeit.

Die Panik wird unerträglich,
die Frage nach dem Sinn zerreißt als kollektives Geschrei Dunkelheit, Ängste, Angstschweiß, den Gestank der Kraftlosigkeit.
 
Es ist jene erbarmungslose, erdrückende Panik, das eigene Grab aus Angst,
aus reinem Überlebenswillen, bereits bezogen zu haben.

Im dunklen, schlecht belüfteten U-Bahnschacht.

Panik.
Bedroht. Vertrieben. Entkräftet.
Panik,
heimtückisch aus dem Hinterhalt angegriffen zu werden. Ohne rettende Fluchtwege. Wohin nur, ab hier?!

Sie strömen weiter, furchtgetrieben,
erreichen aufgelöst ihr Ziel.
Nichts als Angst ist ihnen noch geblieben,
von ihrem Leben, 
das in Schutt und Asche fiel.

Und inmitten des menschengefluteten Untergrundes, hastig und notdürftig zum Luftschutzkeller umfunktioniert, kommt ein Kind zur Welt.
Es wird Mia heißen.

Und das Weinen des Säuglings kann nicht den Schrei seiner Mutter überdecken; in ihre Tränen des größten Glücks
mischen sich Schreie der Angst um ihr Neugeborenes,
erschöpfte Schreie des Schreckens
angesichts so viel Leid, Blut und Tod.

Und das Schreien der Mutter kann nicht das Heulen der Sirenen überdecken; erneut werden Angriffe geflogen,
Panzer bewegt,
Bomben geworfen,
Raketen gezündet,
Munition gefeuert,
Brände gelegt,
sie bringen noch mehr Zerstörung, Entsetzen, Verwüstung, Elend.
 
Doch das Heulen der Sirenen ist nicht alles,
was markerschütternd und unaufhörlich die Nacht zerreißt, den Tag beherrscht,
das Dasein prägt:

Die gewaltigen Stimmen Abertausender, bald Millionen,
die die Wellen ihrer unermüdlichen Wut,
ihrer nicht verhandelbaren Forderung nach Frieden
dem blindwütigen Aggressor und seinem taubstummen Gefolge entgegenschlagen.
Der Schrei nach Freiheit,
der Schrei nach dem Niederlegen der Waffen. Bedingungslos.
Sofort!

Und der jämmerliche, polternde Befehlston jener, die sich noch in Sicherheit glauben,
abseits der vielen Orte, an dem die Geschichte vielleicht ihr letztes Kapitel der Menschheit schreibt, wird immer hohler;
bis zur Unhörbarkeit zusammengeschrien von den Massen.

Zerfetztes Hier und Jetzt, unzählige Menschen in lautstarker Aufruhr! Sie schreien unaufhörlich.

Ihre Gedanken zermürbt. 
Sie schreien nach Rückkehr.

Ihre Beziehungen zerklüftet. 
Sie schreien nach Zusammenhalt. 
 
Ihre Aussichten zerschlagen. 
Sie schreien nach Hoffnung.

Ihre Träume zertreten. 
Sie schreien nach Zuversicht.

Die Gegenwart zerrissen. 
Sie schreit nach Frieden.

Die Zukunft zerbombt. 
Sie schreit nach Heilung.

Unaufhörliches Schreien
Schreie, so allgegenwärtig wie todbringende Streumunition.

Zurück bleibt der Kadaver der einst gewohnten Sicherheit,
boshaft und hasserfüllt zur Strecke gebracht, erbarmungslos gemetzelt. Achtlos verendet sie auf dem blutüberströmten Minenfeld der Tatsachen.

Unaufhörliches Schreien

von Säuglingen, die das Licht der Welt erblicken; sie liegt in Trümmern, ihre Erde brennt.

von Müttern,
vor Sorge um ihre Kinder außer sich vor Schmerz.

von Frauen,
außer sich vor Sorge um ihre Männer.

von Vätern,
gewaltsam dem behütenden Schoß ihrer Familien entrissen. 
 
Unaufhörliches Schreien

Männer, brutal in den Krieg geworfen, obwohl sie noch blutjung sind.

Frauen und Männer,
die Seite an Seite für Freiheit kämpfen, für die Zukunft ihrer Kinder.

Frauen und Männer,
die Seite an Seite für Frieden aufmarschieren;
sie mahnen zur Erinnerung an die Vergangenheit ihrer Eltern.

Frauen und Männer,
die die Straßen und Plätze der Städte fluten,
sie beschreien das Zeitgeschehen,
sie schreien nach einem Beginn zur Veränderung, nach einem Ende der Gewalt.
Entkräftet. Bedroht. Gedemütigt. Der Tötung sicher.

Frauen und Männer,
die unermüdlich seelsorgen, sich kümmern, aufräumen, verarzten, verbinden, vermitteln, verteilen, versorgen, auf die Welt helfen, bergen, begraben.

Frauen und Männer,
die in den Räten und Versammlungen der Welt ihre Stimme erheben, sanktionieren, Waffenlieferungen ermöglichen, wirtschaftlichen Ausschluss predigen, Besitztümer einfrieren, zur Vernunft rufen. Mahnen. Flehen.

Frauen und Männer,
die unerfahren, untrainiert doch fest entschlossen in den Krieg ziehen;
in einen Krieg,
der schon jetzt wildester Vorstellungskraft und blutrünstiger Gräueltaten neue Namen gibt.

Frauen und Männer,
einst selbst Verfolgte, Geächtete, Geschändete. Vor vielen Jahren.

Frauen und Männer,
die erneut mit ansehen müssen,
wie sich die Geschichte wiederholt.

Frauen und Männer,
die fassungslos mit ansehen,
was auch Jahrzehnte nach dem letzten Weltkrieg noch immer keine abschließenden Worte gefunden hat und wohl niemals finden wird.

Trostlos. Hoffnungsleer. Entmachtet.

So zerreißen nicht nur Wut, Todeskampf, Bombensplitter, Panzerketten, Raketen, Geschosse, Schreie von Menschen, Verwundeten, Verbündeten, Verbrüderten, Verantwortlichen, Verteidigern, Vermittlern und Verursachern die Atmosphäre mit ihrem Lärm.

Da ist die Stille der Ungerechtigkeit, Unfassbarkeit, Unbegreiflichkeit, Unermüdlichkeit, die ohrenbetäubend über der Zerstörung einer traumatisierten und vergänglichen Welt liegt.

Der Klang der Tonlosigkeit inmitten markerschütternden Getöses.
 
Schon strömen noch mehr, furchtgetrieben, erreichen leichenblass ihr Ziel.
Die Angst steht ihnen ins Gesicht geschrieben, 
um ihr Dasein, das in Schutt und Asche fiel.

Und erneut erblickt ein weiterer Mensch die Dunkelheit der Welt, von feurigen und gefräßigen Lichtkegeln erhellt.

Einen Namen wollen sie ihm geben, wenn sie wissen, dass sie nach im rufen werden.
Später.
Bald.
Wenn es vorbei sein wird. 
Hoffentlich.

Schrei Säugling!
Hör nicht auf.
Fülle Deine Lungen mit Leben. 
Schaffe Dir Gehör.
Schrei Säugling, schrei!

Sorgenvoll in dunklen,
schlecht belüfteten U-Bahnschächten, zusammengepfercht,
Halt suchend.

Das am Leben Festhalten fragt nach dem Sinn.
Schutzlos. Eine rettende Zuflucht ungewiss.
Die Angst vor heimtückischen Überfällen aus dem Hinterhalt manifestiert.

Die Panik erstickt und schnürt die Kehlen lautlos zu. Zungen schweigen, zu fassen gibt es nichts mehr.

Die Panik unkontrollierbar,
die Frage nach dem Sinn verebbt.
Kraftloses Verstummen zerreißt als kollektives Schweigen Dunkelheit, Ängste, Angstschweiß, den Gestank der Hilflosigkeit.
 
Es ist jene erbarmungslose, erdrückende Panik, das eigene Grab aus Angst,
trotz Überlebenswillen nie wieder verlassen zu können.
Im dunklen, schlecht belüfteten U-Bahnschacht.

Das trügerische Licht am Ende des Tunnels
ist nichts als qualvolle Verblendung.
Im dunklen, schlecht belüfteten U-Bahnschacht.

Das Wissen,
heimtückisch aus dem Hinterhalt angegriffen zu sein. Im dunklen, schlecht belüfteten U-Bahnschacht.

Unwiderruflich. Ausweglos. Endgültig.
Im dunklen, schlecht belüfteten U-Bahnschacht.

Panik.
Bedroht. Gefoltert. Entstellt. Erschossen.

Sie ergeben sich dem Schicksal, angstgetrieben, 
erreichen todgeweiht ihr Ziel.
Nichts ist ihnen mehr geblieben,
von ihrem Leben, 
das in Schutt und Asche fiel.
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