Für Fans, Leser und Vorbesteller unseres Bilder-Buches. Für Lese- und Esel-LiebhaberInnen. Für Gefühlsprofessoren und Mantzen-Köchinnen.
»Willst du eine Mantze?«, fragte ihn Frau Selma.
Sie war die Köchin und hatte immer eine blütenweisse Schürze um. Alle anderen
färbte der Dschungel mit der Zeit in Grün und Braun und Gelb, aber Frau Selma sah
immer blitzsauber aus. Wenn Sandro auch das meiste auf der Insel hasste, Mantzen
liebte er. Überhaupt alles, was von Frau Selma kam.
»Mantzen sind gut gegen alles«, sagte Frau Selma. Sie ließ ihn von einer besonders
großen abbeißen. Es gab Mantzen mit allen möglichen Marmeladen, aber am besten
schmeckten sie mit Powidl. (Am Anfang hatte Sandro Po-Wedel verstanden und
geglaubt, in Mantzen wären Eselschwänze eingebacken. Zum Glück stellte sich das
als Irrtum heraus.) Er nahm einen großen Bissen. Wolken von Staubzucker schwebten
ins Gras. Sein Mund sah aus, als hätte sich ein Schneemann als Clown geschminkt.
»Liest du mir vor?«, fragte der kauende Sandro und streckte Frau Selma sein Buch
hin.
»Aber es ist doch dein Buch, ich kann es dir doch nicht weglesen!«
»Nur eine Seite, bitte!« Sandro bettelte und probierte einen Augenaufschlag, doch
irgendwie gelang der nicht so richtig. »Wenn du liest, merke ich mir’s besser. Und
ich muss doch die Geschichte am Ende können!«
Für Sandro waren Bücher noch störrischer als Esel. Sie machten was sie wollten,
hatten ihre eigene Geschichte und ließen sich zu nichts anderem überreden. Sandro
musste ein neues, ungelesenes Buch mit auf die Insel nehmen, so wie alle anderen
Kinder auch, aber seine Geige musste daheim bleiben. (Viel zu feucht dort, hatte sein
Vater gesagt, das schadet dem Holz. Zu dumm, dass er jetzt nicht da war, Sandro
hätte ihm gerne die vielen Bäume gezeigt, denen es ganz offensichtlich auch nicht
schadete.) Er hätte gerne das Buch gegen die Geige getauscht. Auf ihr dem Esel etwas
vorgespielt. Etwas selbst Erfundenes, das war für Sandro ganz einfach, denn die
Geige und er mochten sich. Sie kamen ganz toll miteinander aus. Es war ein leichtes
Leben mit ihr. Die Bücherbuchstaben allerdings waren schwer und schwarz und
hässlich. Trotzdem musste er Bonnie am Ende auf der Lichtung eine Geschichte
erzählen: Die Geschichte aus dem Buch, das er lesen sollte. Dafür waren die großen
Eselsohren da.
Frau Selma strich sich die Hände an der Schürze sauber, ohne einen Fleck darauf zu
hinterlassen. Keiner wusste, wie sie das machte. Sie nahm das Buch, seufzte und
begann zu lesen:
»Es gibt so viele Länder und Welten und Planeten dort draußen …«
Sie legte das Buch in den Schoß und schaute Sandro an: »Weißt du eigentlich,
warum es so wichtig ist, den Eseln die Geschichten zu erzählen?«
Sandro nahm einen großen Bissen von der Mantze, der Staubzucker kitzelte in der
Nase. Er schüttelte den Kopf.
»Es gibt so viele Geschichten und so viele Bücher«, sagte Frau Selma, »aber nur ganz
wenige gibt es wirklich lange, die meisten verschwinden, noch bevor das Buch zu
Ende gelesen ist. Keiner kann sich mehr an sie erinnern. Aber ein paar erzählt man
immer wieder, die werden älter als ich, älter als du, älter als alle Menschen, die es
gibt. Die hat schon dein Vater, dein Großvater und dein Urururururgroßvater gekannt.
Und die Eseln wissen das.«