The WanderingSoul's profile

Schön ist, was still ist (German Writing)

Schön ist, was still ist
(German Writing)
Vor Tagen schrieb ich einen Brief. Mit jedem Tag, den er hier ruht, glaube ich mehr und mehr all das wirklich erzählt zu haben. Doch nichts davon hat mich je verlassen, all das Erzählt-Geglaubte ist in Wahrheit doch stumm geblieben.
[2018/10/08]
Rehe habe ich heute Morgen gesehen. Eigentlich wiedergesehen. Noch in der Morgendämmerung hatte ich das Haus verlassen, weiß mittlerweile wann ich losgehen muss um passend zum Sonnenaufgang an meiner Bank zu sein. Am Waldrand entlang, kalt war es, der Weg meist von Schnee und Eis bedeckt. Außer mir niemand unterwegs. Im Rücken schließlich der Himmel ein zartes Rosarot, vor mir vereinzelt Wolken, die in den Farben der bald aufgehenden Sonne leuchten. Der Winter, still und kalt auf meiner Haut. Tatsächlich, wie schon vor wenigen Tagen, sind sie wieder da, gleich vier an der Zahl. In wenigen hundert Meter Entfernung streifen sie vorsichtig umher, bleiben dann und wann reglos stehen, lauschen in die kalte Morgenluft hinein. Fast hätte ein Läufer sie verscheucht. Doch ich hatte Glück, und blieb still sitzen. Den Hügel kamen sie herauf zu mir, keine fünfzehn Schritte entfernt gingen sie vorüber. Meinen Kopf habe ich langsam gedreht, und ihnen schließlich hinterhergeblickt. Kaum etwas in der Welt ist schöner als ihre Zurückhaltung, das etwas Verschreckte, Unberührte. Überhaupt scheint es jetzt, wo ich still und allein umherwandere, immer häufiger zu werden, dass ich auf Wildtiere oder wenigstens ihre Spuren stoße. Ich gehe, wie es mir manchmal erscheint, mehr auf ihren Pfaden als auf jenen der Menschen. Und überhaupt bin ich damit vielleicht mehr in ihrer Welt als die der anderen. So ohne Worte. Im vergangenen Sommer stand ich eines Morgens einmal einem Fuchs gegenüber. Er stapfte den Flusslauf hinunter, an dem ich saß, und als er mich schließlich sah musterten wir uns für einen Moment, bis nach einem angedeuteten Nicken jeder seines Weges ging. Da habe ich begriffen, dass Intimität auch und überhaupt in berührungs- und wortlosen Begegnungen liegen kann.

Wenn ich in den letzten Jahren Rehe sah, hatte mich das immer an uns erinnern. Vermutlich deshalb, weil wir beide einmal gemeinsam welche beobachtet hatten, die aufgeschreckt über eine schneebedeckte Wiese sprangen und im Wald nebenan verschwanden. Ein kleiner Moment der Schönheit, den wir miteinander teilten und von da an gemeinsam hatten. Unvergessen ist, dass ich wenige Wochen später wieder dort war. Nur diesmal alleine, und dort sitzend das Weinen begonnen hatte. Noch am Morgen war ich neben Dir aufgewacht, nicht einmal ansehen hattest Du mich wollen. Dann bist Du zum Einkaufen und hast mich noch besorgt gefragt, ob ich nachher überhaupt noch da sein werde. Ja, habe ich gesagt, und bereits gewusst, dass das nicht stimmen wird, auch gar nicht stimmen darf. Wenige Minuten nach Dir verließ ich die Wohnung, die Tür fiel hinter mir ins Schloss. Hier könnte ich warten, es irgendwie erklären, in der Kälte vor Deinem Haus, dachte ich mir. Am Auto angekommen dachte ich, ich könnte noch immer zurückgehen. Und als ich dann davonfuhr, die Stadt und Du in meinen Außenspiegeln immer kleiner werdend, da dachte ich, ich könnte wieder zurückfahren, würde schon einen anderen Parkplatz finden. Doch das habe ich nicht getan. Ich fuhr davon, in Deine Heimat, und ging zwischen den Hügeln und Feldern, erinnert mich an uns und die Rehe, bis ich bei der Vorstellung wie Du die Türe Deiner Wohnung öffnest und niemanden mehr darin findest, weinte. Das einzige und letzte Mal wegen uns.

Mit der Zeit werden Rehe wieder zu Rehen, ganz ohne Erinnerung. Wochenenden zu Wochentagen, der Bahnhof, einst Ort unserer Begegnungen, zu einem Ort, an dem ich zwar zuweilen vorübergehe aber ihn doch wieder eiligst verlasse. Und Du, Du wirst zu etwas, das ich einmal kannte, mich aber kaum noch daran erinnern kann. Ein wenig so, als wäre ich selbst gar nie mit Dir zusammen gewesen. Und heute vergeht auch kaum ein Tag, an dem ich nicht lieber nicht wäre. Wenn ich alleine in der Winterkälte sitze, die Sonne aufgeht, das warme Morgenlicht über die schneeweißen Hügel streicht, weiß ich immerhin, dass das schön ist. An manchen Tagen wird, mit etwas Glück, aus diesem Schön nicht nur ein Wissen, sondern auch ein Gefühl. Angesichts dessen, was aus allem geworden ist, ist das wenig, aber immerhin nicht nichts. Zumindest noch nicht. Und so bleibe ich dabei: Schön ist, was still ist.

2021/01/15
Schön ist, was still ist (German Writing)
Published:

Schön ist, was still ist (German Writing)

Published: